09.05.2013
Bombeneinschläge zählen in Syrien zu alltäglichen Ereignissen. (Bild: picture alliance / dpa)
Beobachtungen aus dem Alltag der Menschen im Bürgerkrieg
Von Martin Durm
Vor zwei Jahren begann in Syrien ein friedlicher Aufstand
gegen Machthaber Assad. Die Jahreszeit ist womöglich aber das Einzige,
was übrig geblieben ist vom arabischen Frühling. Denn der Aufstand artet
zu einem Religionskrieg aus und beide Seiten überbieten sich in ihrer
Brutalität.
Aus Demonstranten wurden Rebellen
Vor
zwei Jahren hatte dieser Aufstand weit weg von Aleppo mit friedlichen
ländlichen Protesten begonnen. "Thawra" - Revolution, riefen die
jugendlichen Demonstranten in Daraa und Deir al Sor. Eine thawra auf
Syrisch wollten sie machen, kultivierter, zivilisierter als die in
Libyen oder Ägypten. Und glaubten womöglich, es sei gar nicht so schwer,
diesen jungen, nicht ganz unsympathischen Präsidenten zu kippen, der
sich so weltoffen gab und eine Frau hat, die gerne Jeans trägt. Doch vom
ersten Tag an wurden die Demonstranten von Baschar al Assads Soldateska
zusammengeschossen. Sie begruben ihre Toten und zogen von Neuem los,
immer noch friedlich, immer noch ohne Gewalt. Sechs Monate lang ging das
so. Erst als viel zu viele gestorben waren in Hama, Idlib und Homs,
wurden aus vielen Demonstranten Rebellen.
Inzwischen gibt es
keine friedlichen Massenkundgebungen mehr. Das Land zerfällt in seine
ethnischen und religiösen Bestandteile: Alawiten und Christen sehen sich
von den Sunniten bedroht, die Sunniten wiederum fürchten die Alawiten,
die Kurden lavieren zwischen den Fronten. Im Sommer 2012 eroberten die
sunnitisch dominierten Aufständischen den Osten Aleppos und lähmten
damit die zweitwichtigste Wirtschaftsmetropole des Landes. Rückzug
scheint nicht mehr infrage zu kommen, für keine der beiden Seiten.
Kämpfer
der Freien Syrischen Armee in Al Zabadani schlachten ein zerstörtes
Gerät aus. (Bild: picture alliance / dpa / jean Rene Auge/Wostok Press)
Ein
paar Hundert Meter weiter feuern FSA-Soldaten gerade aus einer
Geschützstellung. Wir warten auf den Stadtkommandanten der FSA,
Rebellenoberst Abdul Jabbar Akaidi. Früher war er General der
Regierungsarmee, bis er dann im Sommer 2011 zu den Aufständischen
überlief. Der Oberst empfängt uns mit festem Händedruck und
hochgekrempelten Ärmeln. Er will uns die militärische Lage erklären:
"Wir
machen täglich Fortschritte, an allen Fronten. Wir haben heute eine
Moschee erobert, eine Zweite werden wir noch nehmen. Wir haben im hart
umkämpften Viertel Salah id Din einige Straßen unter unsere Kontrolle
gebracht und sind in der Altstadt vorwärtsgekommen. Wir machen große
Fortschritte." Das muss man als Oberkommandierender so
formulieren, wenn sich seit Monaten nichts mehr bewegt. Der anfangs
friedliche Aufstand, der immer blutiger wurde, ist in Aleppo zum
Stellungskrieg degeneriert. Das Regime hat seine Taktik verändert und
den Verhältnissen angepasst: Es versucht jetzt nur noch in Damaskus,
rebellische Stadtviertel zurückzuerobern. In Aleppo und anderen
umkämpften Städten hingegen vermeidet die Armee verlustreiche
Häuserkämpfe. Sie richtet stattdessen mit Flächenbombardements,
Artillerie- und Raketenbeschuss großflächige Verwüstungen an. Dem haben
die Aufständischen wenig entgegenzusetzen, solange sie der Westen nicht
mit entsprechenden Waffen versorgt.
"Der
Westen will offenbar, dass Syrien zerbricht und zerstört wird. Assad
bekommt von Russland und dem Iran modernste Waffen geliefert. Wir
erhalten vom Westen nur leere Versprechungen. Sonst nichts. Es hieß, man
wolle uns wenigstens Schutzwesten und Kommunikationsmittel liefern,
nichts haben wir bislang bekommen."
Ein Krieg ohne feste Frontlinien
Das
Stadtviertel, in dem wir uns gerade befinden, liegt angeblich etwas
abseits der Front, fünf Kilometer von der umkämpften Altstadt Aleppos
entfernt. Vielleicht sind es auch acht oder vier Kilometer, wir wissen
es nicht. Das ist kein Krieg, in dem es feste, klare Frontlinien gäbe.
Es ist ein Krieg der Konfusion, der Hinterhalte und Irrwege. Ständig
sind wir gezwungen, die Richtung und unsre Pläne zu ändern, weil eine
Straße, die gestern noch frei war, plötzlich wieder umkämpft ist.
Unterwegs sehen wir lachende, spielende Kinder zwischen ausgebombten
Ruinen. Irgendwo weiter weg scheint eine Bombe eingeschlagen zu haben,
aber die Kinder scheinen es nicht einmal gehört zu haben.
"Was machst Du da", fragen wir einen Jungen.
"Ich hab mein Rad repariert", sagt er,
"der Reifen war kaputt, jetzt geht's wieder." Und wie er fröhlich davon radelt, kommen andere Kinder neugierig heran.
"Habt ihr keine Angst?", fragen wir.
"Nein", sagen sie,
"überhaupt nicht, das ist doch normal. Hier fällt immer wieder mal eine Bombe." Manchmal
sind ein paar Kinder zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Dann
liegen sie blutend auf der Straße. Wenn sie Glück haben, leben sie noch,
werden in ein Notlazarett gebracht und im Keller auf einen OP-Tisch
gelegt.
Wie Hassan, 5 Jahre alt. Granatsplitter haben Cent-große
Löcher in seinen Körper gerissen, am Hals, an der Schulter, am Rücken.
Dr. Muajid steht da, streift sich die blutverschmierten
Chirurgen-Handschuhe von den Händen und spricht mit Hassans Vater:
"Dein
Sohn wurde schwer verletzt. Aber wir haben die Splitter entfernt, Du
musst Dir jetzt keine Sorgen mehr machen. Er wird durchkommen."Der
Vater antwortet, das sei sein Jüngster. Er habe doch nur zwei Söhne.
Der andere, Ältere, sei behindert. Und jetzt habe man auch noch sein
gesundes Kind zusammengeschossen.
Assad setzt mittlerweile
ballistische Lenkwaffen ein, um den Aufstand niederzuschlagen.
Scud-Raketen werden von Damaskus aus auf Aleppo gefeuert, elf Meter
lang, mit bis zu 1.000 Kilogramm schweren Gefechtsköpfen bestückt. Ihr
Ziel ist einzig und allein, im Osten Aleppos möglichst viel zu zerstören
und möglichst Viele zu töten. Das Regime bestraft die Einwohner dafür,
im falschen Stadtteil Zuhause zu sein.
"Seid
Ihr nur hergekommen, um uns zu filmen, wollt Ihr schöne Bilder von uns
machen? Ihr seht doch, was mit uns geschieht. Was wollt Ihr hier?
Überall nur Zerstörung, Lügen, Scheiße. Hört auf damit. Sofort. Assad
wird uns im Fernsehen sehen und dann schickt er uns noch eine Rakete."Beruhig'
dich doch, sagen ein paar Männer, die in der Scheich Schana-Straße aus
einer Staubwolke auftauchen. Überall hier ist Staub - kalkweiß, im
Gesicht, auf den Kleidern, der Haut, den Haaren. Wo die Scud-Rakete
einschlug, hat sie zwischen den Häuserzeilen eine so breite Schneise
geschlagen, dass heftige Böen immer wieder Staubwolken über das
Trümmerfeld jagen. Am Ende der Straße sind ein paar Häuser stehen
geblieben, übersät mit Rissen und Löchern, durch die Tageslicht ins
Treppenhaus fällt.
Die Familien der Brüder Ali und Mohammed
Quadun sind wenigstens noch zusammen: Alle 18 haben überlebt, teilen
sich jetzt im vierten Stock zwei Zimmer und ein Dach überm Kopf. Die
Kinder sitzen auf dem Boden und starren uns an. Die Frauen bringen Tee.
Es gibt sogar ein paar Schokoladenriegel für die Gäste aus Deutschland.
Deswegen können die Kinder den Blick nicht von uns lassen. Ali, der
ältere Bruder, fängt an zu reden:
"Wir
sind einfache Leute, wir haben mit Politik nichts zu tun. Wir wollen
nur abends unseren Kindern etwas zu essen geben. Wir wollen von
niemandem was, weder vom Regime noch von den Rebellen. Wir wollen
einfach nur in Ruhe gelassen werden und sicher und anständig leben." Mohammed sagt nach einem Granateinschlag:
"Siehst
Du, das haben wir hier jeden Tag. Jeden Tag geht das so. Das war gleich
nebenan. Die Kinder können schon genau unterscheiden: Das war ein
Mörser, das war eine Haubitze, das war eine Panzergranate."
Weltkulturerbe wurde zerstört
Zerstört
wird hier eine der ältesten Städte der Welt. Und es war noch bis vor
einem Jahr eine der schönsten Städte der Welt. 1986 wurde die Altstadt
zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Alles umsonst. Der Basar und die
Zitadelle sind Frontlinie geworden, die Stadtmauern bieten Deckung vor
den Kugeln von Heckenschützen. Und überall wehen nun in Aleppo und auf
dem Land die schwarzen Fahnen mit dem in weißen Lettern aufgedruckten
islamischen Glaubensbekenntnis.
Bis vor wenigen Monaten hatte
diese Fahne noch eine abschreckende Wirkung, sie wurde gleichgesetzt mit
Al Kaida und der Dschabaat al Nusra - der Nusra-Front. Sie ist die
radikalste islamistische Miliz, die in Syrien kämpft; ein Ableger der
"Aqi" - der Al Kaida-Gruppierung im Irak. Vor einigen Monaten waren die
Nusra-Kämpfer noch Phantome, berüchtigt aber unsichtbar, kaum ein
westlicher Journalist hatte sie je zu Gesicht bekommen. Westliche
Regierungen haben die Nusra als Terrororganisation eingestuft. Doch in
den Straßen Aleppos werden sie mittlerweile wie Helden gefeiert, die
bereit sind, für die Armen und vom Westen Verlassenen ihr Leben zu
opfern:
"Nur die Nusra schützt uns.
Warum sollten wir gegen die Nusra sein, wenn sie für uns ist. Die
Nusra-Kämpfer sind für den Islam, für Allah und Mohammed. Die Nusra ist
gut für uns, das sind gute Männer, wir lieben sie." Aleppo
ist zum Zentrum der Nusra-Dschihadisten geworden, etwa 800 bis 1.000
Kämpfer halten sich angeblich im östlichen Stadtgebiet auf. Ihr
Kriegsziel reicht weit über Stadt- und Landesgrenzen hinaus. Sie kämpfen
für ein sunnitisches Emirat, das vom Irak bis zum Libanon reicht. Ahrar
al-scham, die zweite schlagkräftige Islamistenmiliz, gäbe sich schon
zufrieden mit einem syrischen Gottesstaat.
Der Aufstand gegen
Assad artet immer mehr zu einem Religionskrieg zwischen sunnitischen
Rebellen und einem Regime aus, das die alawitisch-schiitische Minderheit
repräsentiert. Auf Propaganda können die Islamisten verzichten. Es
genügt, dass sich der Westen so verhält, wie er es seit zwei Jahren tut:
passiv, ratlos und ignorant, weil er den Menschen in den umkämpften
Städten keine humanitäre Hilfe gewährt: Das überlässt er den Islamisten,
die Geld aus Katar und Saudi-Arabien bekommen und es an Krankenhäuser
und Ausgebombte verteilen.
Irgendwann, wenn einmal alles vorbei
ist, wenn Hunderttausende gestorben und Assad gestürzt ist, was
geschieht dann? Die Frage haben wir dem einzigen Islamisten gestellt,
der bereit war, mit uns zu reden. Er war Gast in einem Haus, in das man
uns einlud; ein höflicher junger Mann, der andauernd lächelte und süßen
Tee mit uns trank:
"Was dann
geschieht? Wir werden einen islamischen Staat aufbauen. Wir werden nach
den Gesetzen der Scharia leben, so wie es die islamische Ordnung
vorschreibt. Die Christen sind eigentlich kein Problem für uns. Die
meisten werden ohnehin von selbst verschwinden. Aber die Alawiten … die
haben nur eine Wahl: Entweder sie gehen, oder wir müssen ihnen den Kopf
abschlagen. Das sind Abtrünnige, sie beleidigen den Islam, dafür gibt es
nur eine Strafe: das Schwert."
Syrischer Arzt rettet Armbruster das Leben
Es
gibt etwas, das Rebellen und Regime auf eine perverse Art aneinander
kettet: Die Gewissheit, dass der Sieg des jeweils anderen unweigerlich
den eigenen Tod mit sich brächte. Das macht die Stadt, das macht diesen
ganzen Bürgerkrieg, so grausam und so gefährlich.
Es heißt oft,
der Osten Aleppos sei befreites Gebiet. Aber er ist es nicht - er ist
lediglich unter Rebellenkontrolle. Wir wären gerne auch auf die andere
Seite gegangen, in den vom Regime kontrollierten Westteil. Auch dort
schlagen täglich Granaten ein, auch dort sterben Kinder. Aber es ging
nicht. Das Assad-Regime verweigert seit Monaten Einreisevisa für
westliche Journalisten.
Die andere Seite haben wir dann aber
doch noch auf ihre Art kennengelernt; einen Tag später, als ein
Scharfschütze der Regierungstruppen aus einem Hinterhalt den Kleinbus
beschoss, in dem wir saßen. Mein Freund und Kollege Jörg Armbruster
wurde schwer verletzt. Wir brachten ihn in eines der überfüllten
Kriegslazarette. Ein syrischer Arzt hat ihm dort in einer Notoperation
das Leben gerettet. Das war am Karfreitag. In der Nacht zum Samstag
wurden dort sieben weitere angeschossene Zivilisten eingeliefert. Zwei
davon starben. Was uns widerfuhr, war kein besonderes Vorkommnis in
dieser Stadt. Es war ein ganz normaler Tag in Aleppo.