Ukraine
Die Kornkammer Europas
10.03.2014
·
Die Ukraine besitzt die fruchtbarsten Böden der Welt, die
Schwarzerde sorgt für ertragreiche Ernten. Doch der für das Land so
wichtige Getreideexport könnte durch die politische Krise bedroht sein.
Von
Louisa Schneider
© AFP
Humuserde als ideales Substrat: Getreideernte in der Ukraine
Die
fruchtbarsten Äcker Europas liegen in der Ukraine. Rund 60 Millionen
Tonnen Getreide werden dort jährlich produziert - hauptsächlich Weizen,
Mais und Gerste. Mehr als die Hälfte davon geht ins Ausland. Als
Exporteur von Getreide steht die Ukraine im weltweiten Vergleich an
dritter Stelle, gleich hinter den Vereinigten Staaten und der
Europäischen Union. Bei den Ölsaaten ist sie sogar Weltmarktführer.
Der Grund liegt zum einen in der schieren Fläche: Die
Ukraine, nach Russland das zweitgrößte Land Europas und mit 45 Millionen
Einwohnern nicht besonders dicht besiedelt, bietet viel Platz für
Landwirtschaft. Wichtiger noch ist aber die besondere Qualität der
ukrainischen Ackerfläche.
Dass Boden nicht gleich Boden ist, weiß man
spätestens, wenn man sich als Hobbygärtner versucht. Die fruchtbare
Schicht der Erde kann zwischen mehreren Zentimetern und wenigen Metern
Tiefe messen und bildet lokal verschiedene komplexe Ökosysteme aus.
Klima, Nährstoffe, Wasser und auch Schadstoffe spielen dabei eine Rolle.
Tschernoseme - die fruchtbarsten Böden überhaupt
Die in der Ukraine reichlich vorhandenen sogenannten
Schwarzerden oder Tschernoseme (nach russisch „tschernyj“, schwarz)
zählen zu den kontinentalen Steppenböden und zu den fruchtbarsten
überhaupt. Benannt wurden sie nach ihrer dunkel gefärbten und bis zu
achtzig Zentimeter mächtigen Humusauflage. Es sind ideale Substrate,
krümelig und locker. Nährstoffe und Wasser sind von den Pflanzen bestens
zu erreichen, auch die Durchlüftung verhilft zu hohen Erträgen.
Diese Fruchtbarkeit ist durch das Ausgangsgestein Löss
bedingt, das meist die Grundlage der Schwarzerde bildet. Der
kalkhaltige Staub lagerte sich während der vergangenen Eiszeiten ab und
bietet nun beste Lebensbedingungen für viele im Boden lebende Tiere.
Regenwürmer, Steppenmurmeltiere und Feldhamster durchwühlen und
durchmischen den Grund, woraus dann die Schwarzerde entsteht. Werden die
Steppenböden nicht bewirtschaftet, sind sie von einer üppigen Schicht
aus Gräsern und Kräutern bewachsen, die das organische Material für die
Humusbildung liefern.
Damit ist die Ukraine reicher gesegnet als jedes
andere Land der Erde. Dreißig Prozent der weltweit vorkommenden
Schwarzerde finden sich hier, als Teil einer zusammenhängenden Fläche,
die sich über Ungarn und Rumänien bis nach Russland, Kasachstan und in
Teile der Mongolei erstreckt. In Mitteleuropa sind Schwarzerden
ansonsten seltene Relikte, zu denen etwa das Thüringer Becken, die
Magdeburger und die Hildesheimer Börde gehören. Nicht zufällig gehören
sie zu den ertragreichsten Landstrichen in Deutschland.
Das Potential ist längst nicht ausgeschöpft
In der Ukraine bedeckt die Schwarzerde satte 56
Prozent der Landesfläche. Nicht überall wird sie landwirtschaftlich
genutzt, aber insgesamt bilden die Tschernoseme zwei Drittel des
ukrainischen Ackerbodens. Deren Potential sei aber noch längst nicht
ausgeschöpft, sagte der ukrainische Agrarminister Nikolai Prisjaschnjuk
vor zwei Jahren. Bis 2017 will die Ukraine 80 Millionen Tonnen Getreide
jährlich produzieren. Tatsächlich ist die Weizen- und Maisproduktion in
der Ukraine auf Expansionskurs. Allerdings spielt sie für die Versorgung
der EU nur eine geringe Rolle, schließlich exportiert auch Deutschland
Getreide und konkurriert dabei sogar mit der Ukraine um die großen
Importländer in Nordafrika und im Nahen Osten. Dort führen das hohe
Bevölkerungswachstum und die durchs Klima arg begrenzten
Anbaubedingungen zur einer starken Nachfrage.
Geographisch liegt die Ukraine hier gegenüber
Deutschland klar im Vorteil. Von den Häfen am Schwarzen Meer gelangt das
Korn mit Handelsschiffen über den Bosporus ins Mittelmeer und von dort
zu den Großimporteuren. Qualitativ sieht es schon anders aus. Denn die
Ukraine liefert hauptsächlich Futtergetreide, während „Getreide mit
hoher Qualität bisher aus anderen Ländern kommt, unter anderem aus
Deutschland“, sagt Heinz-Wilhelm Strubenhoff. Der ehemalige
Projektleiter des Deutsch-Ukrainischen Agrarpolitischen Dialogs arbeitet
zurzeit als Manager bei der International Finance Corporation in Kiew:
„Deshalb hat sich die Ukraine als Konkurrent noch nicht so stark
bemerkbar gemacht.“
Der Agrarsektor in der Ukraine biete mit seinen Land-
und Ertragsreserven ein hohes Wachstumspotential, sagt auch Strubenhoff.
Dafür müssten zukünftig allerdings noch einige Herausforderungen
bewältigt werden. Die Produktion und die Qualität der Ernte könnten nur
gesteigert werden, wenn sich einige Rahmenbedingungen ändern oder
angepasst werden. Strubenhoff sieht drei große Risikofaktoren: Das
Wetter, einen erst schwach ausgeprägten Wettbewerb der Produzenten und
politische Regulierungen. Dazu kommen die schlechte Verfügbarkeit von
Produktionsmitteln, der hohe administrative Aufwand und schließlich die
Korruption - all dies erschwere die Arbeit der Landwirte in der Ukraine
sehr.
Erosion als Bedrohung
Aber auch die Schwarzerden selbst werden zum Problem.
Seit Beginn des Jahrhunderts hat die Mächtigkeit der Lössböden teilweise
stark abgenommen. Schuld ist Erosion. Durch übermäßige Beanspruchung
und falsche Bewirtschaftung wird die Erde von Wind und Regen
davongetragen und verschwindet in Flüssen und Meeren.
„Dieses Problem wird in der Ukraine unterschätzt“,
sagt Strubenhoff. Eine Studie der Food and Agriculture Organization der
Vereinten Nationen und der Weltbank fand heraus, dass rund 500 Million
Tonnen ukrainischen Ackerbodens jährlich erodieren. Der Wertverlust
liegt geschätzt bei einem Drittel des gesamten landwirtschaftlichen
Bruttoinlandprodukts.
Was tun? Strubenhoff schlägt eine „smart
intensification“ vor: Landwirtschaftliche Flächen werden zwar intensiver
bewirtschaftet, durch Klimaschutz und Erosionsschutzmaßnahmen sollen
negative Folgen jedoch im Zaum gehalten werden. Dass der Getreideexport
für die Ukraine elementar ist, liegt auf der Hand. Und solange kein
Krieg den Handel unterbindet, bleibt das Land eine Kornkammer.
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hoch.
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Bild:
dpa
BERLIN taz | Nun
leidet auch der Motor der ukrainischen Exportwirtschaft an der Krise
des Landes: Die Getreideernte dürfte in diesem Jahr deutlich geringer
ausfallen, warnten Experten erst vor wenigen Tagen. Bis zu 20 Prozent
des Agrarlandes können nicht bestellt werden, zitiert die
Nachrichtenagentur Reuters den Verband der ukrainischen Agrarwirtschaft
UCAB. Damit dürfte die Getreideernte 2014 mit 52 Millionen Tonnen um
etwa 17 Prozent niedriger ausfallen als im Vorjahr.
Die wichtigsten Gründe: Die Krimkrise hat seit
Anfang 2014 zu einer drastischen Abwertung der Landeswährung Hrywnia
geführt. Die Kosten für Saatgut, Dünger und Treibstoff stiegen dadurch.
Zudem ist es wegen der unsicheren Lage in der Ukraine schwerer geworden,
einen Kredit zu bekommen.
Die maue Ernte wird sich auf die
Weltmarktpreise auswirken, denn das Land gehört zu den größten
Getreideexporteuren. Das liegt vor allem an den Schwarzerdeböden, die so
viel fruchtbaren Humus enthalten, dass sie tiefdunkel gefärbt sind. In
der Ukraine bedeckt Schwarzerde 65 Prozent des Ackerlandes. Und das ist
mit 32 Millionen Hektar mehr als doppelt so groß wie das der
Bundesrepublik.
Zwar gibt es immer weniger Beschäftigte in
der Landwirtschaft – der Trend geht zu größeren Betrieben und mehr
Maschinen. Zuletzt sank der Anteil auf etwa 17 Prozent. Dennoch
verschafft die Agrarwirtschaft der Ukraine Devisen, die die so dringend
benötigen Importe finanzieren können.
Weniger Pestizide, weniger Erträge
„Die
Getreideexporte sind der Motor der gesamten Wirtschaft“, sagt Oleksandr
Perekhozhuk, Ukraine-Experte am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung
in Mittel- und Osteuropa in Halle. Der Agrar- und Ernährungssektor lag
2013 mit einem Anteil von rund 26,9 Prozent an den Ausfuhren nur 0,9
Prozentpunkte hinter der Metallbranche. Allein die Landwirtschaft trug
2012 rund 9 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.
Doch da würde viel mehr gehen. Die
ukrainischen Landwirte könnten weit mehr aus ihren fruchtbaren Böden
herausholen. Zurzeit ernten sie im Schnitt laut Perekhozhuk nur
2,8 Tonnen Weizen pro Hektar – nur ein Drittel so viel wie in
Deutschland. Das liegt vor allem daran, dass die Ukrainer weniger
Pestizide, Dünger und Hochleistungssaatgut benutzen. Dazu fehlt den
meisten Bauern einfach das Geld.
Dennoch raten die meisten
Agrarwissenschaftler zu mehr Chemie. „Die Regierung sollte lieber
stärker Kleinbauern, Biolandbau und Techniken wie lokal angepasstes
Saatgut fördern“, sagt dagegen Olexiy Angurets vom ukrainischen
Mitgliedsverband der internationalen Umweltorganisation Friends of the
Earth, Zelenyi Svit, zur taz.
Völlig um die Förderung der konventionellen
Landwirtschaft wird die Ukraine kaum herumkommen. „Das Land hat 2013
über fünf Millionen Tonnen konventionellen Weizen exportiert“, sagt
Agrarökonom Perekhozhuk. „Ich glaube nicht, dass jemand auch nur eine
Million Tonnen Bioweizen aus der Ukraine importieren würde.“ Tatsächlich
führte etwa die Bundesrepublik 2009/2010 laut
Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft insgesamt nur 70.000 Tonnen
Ökoweizen ein.
„Die Binnennachfrage nach Bio ist zu
niedrig“, erklärt auch Oleg Nivievskyi, Agrarfachmann des Instituts für
Wirtschaftsforschung und Politikberatung in Kiew. Im Schnitt gebe eine
ukrainische Familie rund 55 Prozent ihres Budgets für Lebensmittel aus.
„Deshalb schauen die Leute zunächst auf den Preis – und dann erst, ob es
bio oder konventionell ist.“
Übrigens: Eine Abspaltung der Halbinsel Krim
dürfte der Landwirtschaft kaum schaden. Hier wachsen nur 2,9 Prozent der
Weizenernte. Und: „Alle großen Häfen der Ukraine liegen außerhalb der
Krim, in den südlichen und östlichen Bezirken“, sagt der Kiewer Experte
Nivievskyi. „Solange diese Häfen zur Ukraine gehören, wären die
Landwirtschaftsexporte kaum betroffen.“