Neue Ausgabe https://paper.li/Die-Gesellschaft-und-Politik-Zeitung#/

Montag, 14. April 2014

Ukraine - Die Kornkammer Europas


 Ukraine Die Kornkammer Europas


 ·  Die Ukraine besitzt die fruchtbarsten Böden der Welt, die Schwarzerde sorgt für ertragreiche Ernten. Doch der für das Land so wichtige Getreideexport könnte durch die politische Krise bedroht sein.
© AFP Vergrößern Humuserde als ideales Substrat: Getreideernte in der Ukraine
Die fruchtbarsten Äcker Europas liegen in der Ukraine. Rund 60 Millionen Tonnen Getreide werden dort jährlich produziert - hauptsächlich Weizen, Mais und Gerste. Mehr als die Hälfte davon geht ins Ausland. Als Exporteur von Getreide steht die Ukraine im weltweiten Vergleich an dritter Stelle, gleich hinter den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union. Bei den Ölsaaten ist sie sogar Weltmarktführer.
Der Grund liegt zum einen in der schieren Fläche: Die Ukraine, nach Russland das zweitgrößte Land Europas und mit 45 Millionen Einwohnern nicht besonders dicht besiedelt, bietet viel Platz für Landwirtschaft. Wichtiger noch ist aber die besondere Qualität der ukrainischen Ackerfläche.
Dass Boden nicht gleich Boden ist, weiß man spätestens, wenn man sich als Hobbygärtner versucht. Die fruchtbare Schicht der Erde kann zwischen mehreren Zentimetern und wenigen Metern Tiefe messen und bildet lokal verschiedene komplexe Ökosysteme aus. Klima, Nährstoffe, Wasser und auch Schadstoffe spielen dabei eine Rolle.
Tschernoseme - die fruchtbarsten Böden überhaupt
Die in der Ukraine reichlich vorhandenen sogenannten Schwarzerden oder Tschernoseme (nach russisch „tschernyj“, schwarz) zählen zu den kontinentalen Steppenböden und zu den fruchtbarsten überhaupt. Benannt wurden sie nach ihrer dunkel gefärbten und bis zu achtzig Zentimeter mächtigen Humusauflage. Es sind ideale Substrate, krümelig und locker. Nährstoffe und Wasser sind von den Pflanzen bestens zu erreichen, auch die Durchlüftung verhilft zu hohen Erträgen.
Diese Fruchtbarkeit ist durch das Ausgangsgestein Löss bedingt, das meist die Grundlage der Schwarzerde bildet. Der kalkhaltige Staub lagerte sich während der vergangenen Eiszeiten ab und bietet nun beste Lebensbedingungen für viele im Boden lebende Tiere. Regenwürmer, Steppenmurmeltiere und Feldhamster durchwühlen und durchmischen den Grund, woraus dann die Schwarzerde entsteht. Werden die Steppenböden nicht bewirtschaftet, sind sie von einer üppigen Schicht aus Gräsern und Kräutern bewachsen, die das organische Material für die Humusbildung liefern.
Damit ist die Ukraine reicher gesegnet als jedes andere Land der Erde. Dreißig Prozent der weltweit vorkommenden Schwarzerde finden sich hier, als Teil einer zusammenhängenden Fläche, die sich über Ungarn und Rumänien bis nach Russland, Kasachstan und in Teile der Mongolei erstreckt. In Mitteleuropa sind Schwarzerden ansonsten seltene Relikte, zu denen etwa das Thüringer Becken, die Magdeburger und die Hildesheimer Börde gehören. Nicht zufällig gehören sie zu den ertragreichsten Landstrichen in Deutschland.
Das Potential ist längst nicht ausgeschöpft
In der Ukraine bedeckt die Schwarzerde satte 56 Prozent der Landesfläche. Nicht überall wird sie landwirtschaftlich genutzt, aber insgesamt bilden die Tschernoseme zwei Drittel des ukrainischen Ackerbodens. Deren Potential sei aber noch längst nicht ausgeschöpft, sagte der ukrainische Agrarminister Nikolai Prisjaschnjuk vor zwei Jahren. Bis 2017 will die Ukraine 80 Millionen Tonnen Getreide jährlich produzieren. Tatsächlich ist die Weizen- und Maisproduktion in der Ukraine auf Expansionskurs. Allerdings spielt sie für die Versorgung der EU nur eine geringe Rolle, schließlich exportiert auch Deutschland Getreide und konkurriert dabei sogar mit der Ukraine um die großen Importländer in Nordafrika und im Nahen Osten. Dort führen das hohe Bevölkerungswachstum und die durchs Klima arg begrenzten Anbaubedingungen zur einer starken Nachfrage.
Geographisch liegt die Ukraine hier gegenüber Deutschland klar im Vorteil. Von den Häfen am Schwarzen Meer gelangt das Korn mit Handelsschiffen über den Bosporus ins Mittelmeer und von dort zu den Großimporteuren. Qualitativ sieht es schon anders aus. Denn die Ukraine liefert hauptsächlich Futtergetreide, während „Getreide mit hoher Qualität bisher aus anderen Ländern kommt, unter anderem aus Deutschland“, sagt Heinz-Wilhelm Strubenhoff. Der ehemalige Projektleiter des Deutsch-Ukrainischen Agrarpolitischen Dialogs arbeitet zurzeit als Manager bei der International Finance Corporation in Kiew: „Deshalb hat sich die Ukraine als Konkurrent noch nicht so stark bemerkbar gemacht.“
Der Agrarsektor in der Ukraine biete mit seinen Land- und Ertragsreserven ein hohes Wachstumspotential, sagt auch Strubenhoff. Dafür müssten zukünftig allerdings noch einige Herausforderungen bewältigt werden. Die Produktion und die Qualität der Ernte könnten nur gesteigert werden, wenn sich einige Rahmenbedingungen ändern oder angepasst werden. Strubenhoff sieht drei große Risikofaktoren: Das Wetter, einen erst schwach ausgeprägten Wettbewerb der Produzenten und politische Regulierungen. Dazu kommen die schlechte Verfügbarkeit von Produktionsmitteln, der hohe administrative Aufwand und schließlich die Korruption - all dies erschwere die Arbeit der Landwirte in der Ukraine sehr.
Erosion als Bedrohung
Aber auch die Schwarzerden selbst werden zum Problem. Seit Beginn des Jahrhunderts hat die Mächtigkeit der Lössböden teilweise stark abgenommen. Schuld ist Erosion. Durch übermäßige Beanspruchung und falsche Bewirtschaftung wird die Erde von Wind und Regen davongetragen und verschwindet in Flüssen und Meeren.
„Dieses Problem wird in der Ukraine unterschätzt“, sagt Strubenhoff. Eine Studie der Food and Agriculture Organization der Vereinten Nationen und der Weltbank fand heraus, dass rund 500 Million Tonnen ukrainischen Ackerbodens jährlich erodieren. Der Wertverlust liegt geschätzt bei einem Drittel des gesamten landwirtschaftlichen Bruttoinlandprodukts.
Was tun? Strubenhoff schlägt eine „smart intensification“ vor: Landwirtschaftliche Flächen werden zwar intensiver bewirtschaftet, durch Klimaschutz und Erosionsschutzmaßnahmen sollen negative Folgen jedoch im Zaum gehalten werden. Dass der Getreideexport für die Ukraine elementar ist, liegt auf der Hand. Und solange kein Krieg den Handel unterbindet, bleibt das Land eine Kornkammer.

Landwirtschaft in der Ukraine

Magere Ernte

Die Agrarwirtschaft ist dank fruchtbarer Böden die dynamischste Exportbranche des Landes. Doch ihr fehlen Kredite und die Kosten sind hoch.
Felder auf der Krim: Für den Getreideexport der Ukraine ist die Halbinsel nicht entscheidend.  Bild: dpa
BERLIN taz | Nun leidet auch der Motor der ukrainischen Exportwirtschaft an der Krise des Landes: Die Getreideernte dürfte in diesem Jahr deutlich geringer ausfallen, warnten Experten erst vor wenigen Tagen. Bis zu 20 Prozent des Agrarlandes können nicht bestellt werden, zitiert die Nachrichtenagentur Reuters den Verband der ukrainischen Agrarwirtschaft UCAB. Damit dürfte die Getreideernte 2014 mit 52 Millionen Tonnen um etwa 17 Prozent niedriger ausfallen als im Vorjahr.
Die wichtigsten Gründe: Die Krimkrise hat seit Anfang 2014 zu einer drastischen Abwertung der Landeswährung Hrywnia geführt. Die Kosten für Saatgut, Dünger und Treibstoff stiegen dadurch. Zudem ist es wegen der unsicheren Lage in der Ukraine schwerer geworden, einen Kredit zu bekommen.
Die maue Ernte wird sich auf die Weltmarktpreise auswirken, denn das Land gehört zu den größten Getreideexporteuren. Das liegt vor allem an den Schwarzerdeböden, die so viel fruchtbaren Humus enthalten, dass sie tiefdunkel gefärbt sind. In der Ukraine bedeckt Schwarzerde 65 Prozent des Ackerlandes. Und das ist mit 32 Millionen Hektar mehr als doppelt so groß wie das der Bundesrepublik.
Zwar gibt es immer weniger Beschäftigte in der Landwirtschaft – der Trend geht zu größeren Betrieben und mehr Maschinen. Zuletzt sank der Anteil auf etwa 17 Prozent. Dennoch verschafft die Agrarwirtschaft der Ukraine Devisen, die die so dringend benötigen Importe finanzieren können.
Weniger Pestizide, weniger Erträge
„Die Getreideexporte sind der Motor der gesamten Wirtschaft“, sagt Oleksandr Perekhozhuk, Ukraine-Experte am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa in Halle. Der Agrar- und Ernährungssektor lag 2013 mit einem Anteil von rund 26,9 Prozent an den Ausfuhren nur 0,9 Prozentpunkte hinter der Metallbranche. Allein die Landwirtschaft trug 2012 rund 9 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.
Doch da würde viel mehr gehen. Die ukrainischen Landwirte könnten weit mehr aus ihren fruchtbaren Böden herausholen. Zurzeit ernten sie im Schnitt laut Perekhozhuk nur 2,8 Tonnen Weizen pro Hektar – nur ein Drittel so viel wie in Deutschland. Das liegt vor allem daran, dass die Ukrainer weniger Pestizide, Dünger und Hochleistungssaatgut benutzen. Dazu fehlt den meisten Bauern einfach das Geld.
Dennoch raten die meisten Agrarwissenschaftler zu mehr Chemie. „Die Regierung sollte lieber stärker Kleinbauern, Biolandbau und Techniken wie lokal angepasstes Saatgut fördern“, sagt dagegen Olexiy Angurets vom ukrainischen Mitgliedsverband der internationalen Umweltorganisation Friends of the Earth, Zelenyi Svit, zur taz.
Völlig um die Förderung der konventionellen Landwirtschaft wird die Ukraine kaum herumkommen. „Das Land hat 2013 über fünf Millionen Tonnen konventionellen Weizen exportiert“, sagt Agrarökonom Perekhozhuk. „Ich glaube nicht, dass jemand auch nur eine Million Tonnen Bioweizen aus der Ukraine importieren würde.“ Tatsächlich führte etwa die Bundesrepublik 2009/2010 laut Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft insgesamt nur 70.000 Tonnen Ökoweizen ein.
„Die Binnennachfrage nach Bio ist zu niedrig“, erklärt auch Oleg Nivievskyi, Agrarfachmann des Instituts für Wirtschaftsforschung und Politikberatung in Kiew. Im Schnitt gebe eine ukrainische Familie rund 55 Prozent ihres Budgets für Lebensmittel aus. „Deshalb schauen die Leute zunächst auf den Preis – und dann erst, ob es bio oder konventionell ist.“
Übrigens: Eine Abspaltung der Halbinsel Krim dürfte der Landwirtschaft kaum schaden. Hier wachsen nur 2,9 Prozent der Weizenernte. Und: „Alle großen Häfen der Ukraine liegen außerhalb der Krim, in den südlichen und östlichen Bezirken“, sagt der Kiewer Experte Nivievskyi. „Solange diese Häfen zur Ukraine gehören, wären die Landwirtschaftsexporte kaum betroffen.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen