Personelle Kontinuitäten nach 1945
in der Polizei (BKA)
Vortrag im Rahmen der Reihe
"60 Jahre nach Kriegsende - Der lange Schatten des NS-Regimes und
die deutsche Gesellschaft", Dienstag, 25.10.2005, Topographie des
Terrors
Von Dieter Schenk
Guten Abend meine sehr verehrten
Damen und Herren!
Nach einigen Anmerkungen zu meiner
Person, möchte ich ihnen die braunen Wurzeln des Bundeskriminalamtes
erläutern, die Reaktionen des BKA auf das Buch schildern und
schließlich prüfen, ob die Nazivergangenheit des BKA eine
Langzeitwirkung hatte, ob es Kontinuitäten gibt.
Von 1981 bis 1989 gehörte ich dem
Amt, in der Stabsstelle Interpol, an. Ich war als so genannter
Sicherheitsberater des Auswärtigen Amtes tätig und acht Jahre lang
in der ganzen Welt unterwegs, in 65 Ländern, auf allen Kontinenten.
Überwiegend handelte es sich dabei um Militärdiktaturen,
Folterregime und Bürgerkriegsstaaten. Das war, wie gesagt in den
achtziger Jahren. Leider ist, erkennbar an den ständig umfangreicher
werdenden Berichten von Amnesty International, die Welt bis heute
nicht besser geworden. Zu dieser Zeit galten Václav Havel oder
Nelson Mandela, auch in den Augen mancher meiner Chefs, als
Terroristen.
Auf eigenen Antrag schied ich dann
aus dem BKA und aus dem Polizeiberuf aus. Mein Verhältnis zum BKA
ist insbesondere an der Menschenrechtsfrage zerbrochen. Das möchte
ich nur an einem einzigen Beispiel von vielen kurz illustrieren. Der
damalige Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) reiste nach
Paraguay. Nach seiner Rückkehr gab er eine Pressekonferenz auf der
er sagte: "Dies ist ein kleines schönes Land, fast eine Demokratie
und von Menschenrechtsverletzungen hat mir niemand berichtet." Zwei
Monate später hatte ich den Auftrag, die deutsche Botschaft in
Paraguay zu überprüfen. Ich hatte immer auch die Sicherheitslage zu
evaluieren und berichtete in meinem Gutachten von den Grausamkeiten
des paraguayischen Geheimdienstes, der seine Opfer an den Daumen
aufhängte. Meine Amtsleitung schlug die Hände über den Kopf zusammen
und sagte, wie können sie so etwas schreiben, der Herr Minister hat
doch etwas ganz anderes gesagt.
Etwa zu dieser Zeit hatte ich ein
Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten der Grünen Otto Schily und
bat ihn: "Helfen sie mir Herr Schily, wie komme ich aus dem BKA
wieder raus". Er sagte zu mir: "Bleiben sie, es ist gut, dass es
solche Leute im BKA gibt wie sie einer sind". Aber das reduziert
sich letztlich auf die Frage des Leidensdruckes.
Ich habe drei Bücher über das BKA
geschrieben, und ich bin mir bewusst, dass ich damit aus der Sicht
des BKA ein Tabu verletzt habe.
Das erste Buch, emotional geschrieben
und nicht frei von Polemik erschien 1990 unter dem Titel "BKA - die
Reise nach Beirut". Es schildert meine eigenen Erfahrungen im und
mit dem Amt in den achtziger Jahren. Es folgte 1998 die Biographie
von Horst Herold, dem überragenden BKA-Präsidenten, vor dem
Hintergrund der siebziger Jahre, der Zeit der RAF und der
Terrorismusbekämpfung. In diesem Buch bemühte ich mich um strenge
Sachlichkeit, und es fand hier und da auch Anerkennung im
Bundeskriminalamt.
Schließlich erschien 2001 "Auf dem
Rechten Auge blind - Die braunen Wurzeln des BKA", und damit waren
meine Aktien im BKA erneut im Keller. Ich verstand das eigentlich
nie, denn das heutige BKA ist ja nicht verantwortlich für das, was
in den fünfziger und sechziger Jahren die damaligen Führungsleute zu
verantworten hatten und für deren Vergangenheit in der Nazizeit. Von
Letzterem erfuhr ich während meiner Tätigkeit im BKA in den acht
Jahren nur sehr Diffuses. Ich wusste, es gab eine Gruppe von
Führungsleuten, die wurden die "Charlottenburger" genannt, was damit
zusammenhing, dass sie gemeinsam 1938/39 einen Kommissarlehrgang an
der Schule der Sicherheitspolizei und des SD in
Berlin-Charlottenburg absolviert hatten.
In dem Buch über Herold schrieb ich
auch ein Kapitel über die "Charlottenburger", einer Seilschaft, die
die Personalpolitik und die fachliche Zielsetzung bestimmte. Es war
eine verschworene Gemeinschaft, die sich mit Intrigen,
Vetternwirtschaft und einem autoritären Führungsstil in diesem Amt
verbreitete und es beherrschte. Die Vaterfigur von ihnen war Paul
Dickopf.
Nun versuchte ich in dieser Zeit an
Akten heranzukommen und musste feststellen, dass der umfangreiche
Dickopf-Nachlass durch das Bundeskriminalamt im Bundesarchiv in
Koblenz für 25 Jahre gesperrt war. Ich stellte dann einen Antrag
beim BKA, mir diese Akten zugänglich zu machen. Das wurde mit der
Begründung abgelehnt, dies sei wahrscheinlich nicht im Sinne des
Verstorbenen Herrn Dickopf. Das ist wohl wahr, aber es wäre im
wohlverstandenen Interesse des Bundeskriminalamtes gewesen.
Als ich das Buch über die braunen
Wurzeln des BKA zu schreiben begann, untersuchte ich die aus etwa 47
Leuten bestehende Führungsmannschaft und dachte so als
Ausgangsthese, dass ein Teil von ihnen in der Zeit des
Nationalsozialismus natürlich auch irgendetwas mit der Polizei zu
tun gehabt hatte.
Das Ergebnis meiner Recherche hat
sogar mich, der ich eigentlich auch von berufswegen einiges gewohnt
bin was Verbrechen angeht, entsetzt. Denn ich hielt es nicht für
möglich, dass Männer, die über zwei Jahrzehnte - also in den
fünfziger und sechziger Jahren - die Innenpolitik der Bundesrepublik
mit beeinflusst haben und die selbst Verbrechen bekämpfen sollten,
in ihrer Person ebenfalls Verbrecher waren.
Welches waren nun die wesentlichen
Ergebnisse, zu denen ich gekommen war?
Da gibt es einerseits die Rolle der
Besatzungsmächte und des US-Geheimdienstes. Es ist sehr interessant
zu erfahren, wie ein Einfluss von dort auf das zu errichtende BKA
ausging und wie die Hand von den Alliierten, insbesondere den
Amerikanern, schützend auch über Leute gehalten wurde, die einmal
der SS angehörten. Es gelang mir die einzelnen Beziehungsgeflechte
innerhalb des BKA und dessen Gruppierungen zu entschlüsseln. Dort
waren Menschen, die sich gegenseitig die Posten zuschoben, sich
gegenseitig schützten und natürlich auch gegenseitig beförderten. An
ihrer Spitze stand das Triumvirat Paul Dickopf, Rolf Holle und
Bernhard Niggemeyer.
Wichtig ist auch das Verhalten des
Innenministeriums und der Innenminister, denn sie haben die alten
Nazis im Bundeskriminalamt gedeckt. Sie kaschierten durch
Alibimaßnahmen ihre Laufbahnen, sobald diese irgendwann bekannt
wurden. So eröffnete man zum Beispiel nur vorübergehend ein
Disziplinarverfahren und stellte es, nach dem es ruhiger um die
betreffende Person geworden war, wieder ein. In ganz heftigen
Fällen, wurde jemand für einige Monate zum Statistischen Bundesamt
abgeordnet, um die Person aus dem Schussfeld zu nehmen.
Schließlich ist es mir auch gelungen,
die Kontinuitäten nicht nur in den Personen, sondern auch in der
Sache herauszufinden. Es war schon erstaunlich, dass eine ganz nahe
Verwandtschaft in der Organisation, zwischen dem ehemaligen
Reichskriminalpolizeiamt, das eine Abteilung des
Reichssicherheitsamtes war, und dem neu geschaffenen
Bundeskriminalamt bestand. Wenn man die Organisationspläne beider
Dienststellen nebeneinander legt, dann wird man verblüffende
Ähnlichkeiten feststellen.
So war es auch hinsichtlich der
Arbeitsweisen. Ich wunderte mich, wie man in der Nachkriegszeit, als
das BKA im Werden war, innerhalb von manchmal wenigen Monaten
Konzepte aufgestellte - über polizeiliche Spezialgebiete, wie die
Bekämpfung der Drogen, des Falschgeldes oder über Meldedienst und
Fahndung. Bei der Überprüfung der Vorschriftensammlung des
Reichskriminalpolizeiamtes merkte ich, dass das alles von früher
abgeschrieben worden war. Man säuberte es nur von der Ideologie und
hatte alles, was nazitypisch war, daraus entfernt.
Aber das war nicht nur ein Phänomen
des Bundeskriminalamtes alleine. Auch hochrangige Kriminalisten in
fast allen Bundesländern, denen im Nachkriegsdeutschland eine
Meinungsführerschaft zukam, waren auf ähnliche Weise belastet - so
zum Beispiel der Leiter des Landeskriminalamtes in Koblenz Georg
Heuser. Er hatte von 1941 bis 1944 als Leiter der Gestapo in Minsk
mindesten 30.000 Menschen ermorden lassen. 1961 wurde er vom
Schwurgericht Koblenz zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. In
Nordrhein-Westfalen gab es 50 bis 60 höhere Kriminalbeamte, die alle
eine SS-Vergangenheit hatten, so die Kripochefs von Aachen, Bonn,
Gelsenkirchen, Krefeld, Mönchengladbach, Köln, Essen und
Mühlheim/Ruhr. In der Presse war seinerzeit zu lesen, dass
Innenministerium von Nordrhein-Westfalen möchte doch dafür sorgen,
dass die regelmäßigen
Dienstversammlungen der Großstadt-Kriminalpolizei nicht zu
SS-Kameradschaftstreffen verkommen.
Ich möchte nun einige Einzelheiten
zu diesem Triumvirat Dickopf, Holle und Niggemeyer sagen.
Paul Dickopf war eine schillernde
Persönlichkeit, eine Spielernatur, die Talent im Tarnen und Täuschen
besaß. Nach dem Lehrgang in Berlin-Charlottenburg wurde er als
Kriminalkommissar und SS-Untersturmführer zur Abwehrstelle Stuttgart
versetzt. Dass das kein automatischer Angleichungsdienstgrad war,
dafür spricht unter anderem seine Personalakte, nach der er selbst
den Antrag gestellt hatte, in die SS aufgenommen zu werden.
Schließlich wurde er im Juli 1942 im Auftrag der Canaris-Zentrale in
die Schweiz geschickt um dort unterzutauchen und als Doppelagent Fuß
zu fassen. Er war dann als Informant für den schweizerischen
Geheimdienst tätig, hatte diesen aber auch ausgeforscht und seine
Berichte über die Vatikanbotschaft in Rom nach Berlin
weitergeleitet. Dem schweizerischen Geheimdienst wurde das
irgendwann sehr dubios und so nahm man ihn dann auch für mehrere
Monate in Haft.
Anfang Januar 1945, als tatsächlich
kein Zweifel mehr am Ausgang des Krieges bestand, setzte sich
Dickopf in der US-Gesandtschaft in Bern mit der Zentrale des OSS -
Office of Strategic Services, dem Vorläufer des CIA, in Verbindung.
Dort galt er sehr schnell als ein Kenner der Kriminalpolizei, aber
auch des SD und der Gestapo. Er fing an darüber Berichte zu
schreiben und erlangte auf diese Art das Vertrauen der Amerikaner.
In der Nachkriegszeit gab er sich als Widerstandskämpfer aus.
Insbesondere bei seinen Kollegen im Bundeskriminalamt vertrat er das
so glaubhaft, dass man ihm das auch abnahm.
1947 kehrte er nach Deutschland
zurück und wurde ein Agent des CIA. Ich sage das nicht einfach so
locker dahin, ohne das verantworten zu können. Unter anderem konnte
ich die Akten des Schweizer Bundesarchivs in Bern genau prüfen und
erhielt auch über seinen Agentenführer Tom Polgar eine Menge
Informationen. Dieser Mann war Residenturleiter auf der ganzen Welt,
unter anderem in Vietnam und zum Schluss auch für mehrere Jahre
oberster Sicherheitschef der amerikanischen Botschaft in Bonn.
Dickopf schrieb 15 Agentenberichte
unter einer Agentennummer, die alle erhalten sind, weil er die
Eigenschaft besaß, nichts wegzuwerfen und jeden Schnipsel Notiz
aufzuheben. Dies war für mein Buch natürlich von großer Bedeutung.
Aber wie banal das Geheimdienstgeschäft in der Realität nun eben
manchmal ist; seine Agentennummer entsprach seinem Geburtsdatum.
Am 15. Mai 1950 wurde er in das
Bundesinnenministerium zur Berufung als Vizepräsident des BKA
einbestellt dessen Präsident er in der Zeit von 1965 bis 1971 war.
Anschließend hatte er noch bis 1972 die Präsidentschaft von Interpol
inne. 1973 ist er verstorben.
Dickopf galt als sehr unbeliebt und
nachtragend. Man sagt, er hatte ein Gedächtnis wie ein Elefant. Wer
irgendwann mal bei ihm in Ungnade fiel, bekam keinen Fuß mehr auf
den Boden - dafür gibt es auch Beispiele. Er war ungerecht und
betrieb eine intrigante Personalpolitik und förderte natürlich die
alten Kameraden.
Jedenfalls ist es doch schon
erstaunlich und hat so etwas von einem Schurkenstück, dass die
verbrecherische CIA ihren Mann an einflussreicher Stelle im
Bundeskriminalamt platzieren und später auch innerhalb der
Interpol-Organisation unterbringen konnte. Ob Dickopf nach 1951 - da
enden seine Berichte für die CIA - weiter für diesen Geheimdienst
arbeitete, ist bisher nicht feststellbar, weil diese Akten in
Amerika noch unter Verschluss sind. Aber die ganze Entwicklung
spricht natürlich auch nicht für die Souveränität der jungen
Bundesrepublik.
Nun einige Worte zu dem zweiten Mann,
Rolf Holle.
Bereits 1930 - also noch vor der
Machtübernahme - trat er zunächst dem SS-Schülerbund und später der
Hitlerjugend bei. Ab 1933 war er in der Standarte Leipzig der SA, ab
1937 offizielles Mitglied der NSDAP und schließlich 1939
SS-Hauptsturmführer. Er bewarb sich dann für den Einsatz im
polizeilichen Kolonialdienst und wurde dafür in Rom ausgebildet.
In der Personalakte der damaligen
Zeit findet sich ein Formular, in dem die betreffenden Herren
gebeten waren, in einer Rubrik aufzuschreiben, wo sie sich ihre
weitere Verwendung vorstellten. Herr Holle schrieb dort, er möchte
entweder in Deutsch-Südwest-Afrika oder in der Südsee eingesetzt
werden. Daraus kann man erkennen, dass er die Weltmachtansprüche des
damaligen Regimes in der Tat sehr verinnerlicht hatte. Vielleicht
hoffte er dann Gauleiter auf Samoa zu sein, mit einem KZ in Tonga.
Dickopf und Holle schrieben 1971 eine
Broschüre mit dem Titel "Das Bundeskriminalamt", in der sie die
Sicherheitspolizei der Jahre 1937 bis 1945, als das Nonplusultra der
fachlichen Kompetenz und auch der Organisation darstellten. Den
begangenen Verbrechen haben sie mit keiner Zeile irgendeine
Aufmerksamkeit gewidmet, geschweige denn einen Satz des Bedauerns,
der Reue oder der Trauer geäußert.
Dr. Bernhard Niggemeyer gründete das
Kriminalistische Institut des Bundeskriminalamtes und war innerhalb
der Behörde sehr bekannt und auch beliebt. Er veranstaltete und
moderierte die internationalen BKA-Herbsttagungen, die in ganz
Europa und darüber hinaus einen unheimlich guten Ruf besaßen. In der
Nazizeit war er SS-Sturmbannführer und leitender Feldpolizeidirektor
der Heeresgruppe Mitte in Russland. In ehemaligen DDR-Archiven fand
ich Unterlagen, die seine eigene Tätigkeit in der NS-Zeit entlarven
- nämlich seine eigenen Berichte. Danach war er ein ehrgeiziger
SS-Sturmbannführer in entscheidender Kommandostelle.
Diese Berichte enthalten unter
anderem Statistiken über fünf Monate aus dem Jahre 1944. Demnach
wurden 675 Menschen exekutiert, 32 auf der Flucht erschossen, 1047
den Einsatzgruppen des SD ausgeliefert, was einem Todesurteil
gleichkam, und 1556 an Kriegsgefangenenlagern überstellt, was
meistens auch mit dem Tod endete. Nach dem Krieg waren gegen ihn
auch einige Verfahren anhängig. Allerdings wies er mit
unwahrscheinlich frecher Arroganz jeden Verdacht von sich und
blockte alle Ermittlungen auf erstaunliche Art und Weise ab. Es
kamen mal zwei Staatsanwälte, die Mitarbeiter von ihm vernehmen
wollten. Denen verwies er als Abteilungsleiter quasi die Tür, so
dass sie zur Amtsleitung gegen mussten, um die beiden anderen
Beamten als Zeugen überhaupt vernehmen zu können.
Unglaublich, aber wahr ist, dass
leitende Führungskräfte aus dem Reichskriminalpolizeiamt direkt in
das Bundeskriminalamt wechselten. So der Chefbiologe des RKPA, Dr.
Martin, der die gleiche Position im Bundeskriminalamt bekam und der
Cheffahnder Kurt Amend, der Abteilungsleiter Fahndung im
Bundeskriminalamt wurde. Und auch die Leiter in der Nazizentrale für
Fingerabdrucksammlungswesen, Heinz Drescher, der Urkundenabteilung,
Rudolf Mally und der Cheftechniker Heinrich Becker erhielten die
gleichen Positionen im BKA.
Erwähnen möchte ich noch den
Kriminalrat in der Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes, Theo
Saevecke, der Einsatzleiter in der Spiegelaffäre war. Er wurde in
der NS-Zeit Henker von Mailand genannt, denn er ließ als
SS-Hauptsturmführer und Sicherheitschef dieser norditalienischen
Stadt aus Rache am 10. August 1944 fünfzehn Geisel erschießen. Trotz
eindeutiger Aktenlage stellte das Bundesinnenministerium zwei
Disziplinarverfahren gegen ihn ein und Innenminister Hermann Höcherl
nahm ihn in einer Fragestunde des Bundestages in Schutz. Saevecke
wurde in Mailand, in Abwesenheit, zu Lebenslänglich verurteilt. Er
konnte aber nach dem Recht der 1990er Jahre, als Deutscher aus
Deutschland, nicht ausgeliefert werden und ist vor ein paar Jahren
verstorben. Wie alle, war er bis zuletzt Pensionär, der im Gegensatz
zu den vielen Opfern soweit sie überlebten, gut von seiner Pension
leben konnte.
Zusammenfassend möchte ich zu diesem
Komplex sagen, dass das Bundeskriminalamt, laut meiner
Untersuchungen, von Nazitätern aufgebaut wurde. Eine Tatsache, die
eigentlich schwer zu begreifen ist.
Bis auf zwei, hatten 1959 alle
BKA-Beamte des leitenden Dienstes, der insgesamt 47 Leute umfasste,
eine braune Weste, waren also mindestens auch Angehörige der Partei.
Auch wenn das für sich noch nichts sagt, so ist es doch für das
rechtsstaatliche Selbstverständnis des Bundeskriminalamtes,
rückblickend betrachtet, eine moralische Katastrophe. Fast die
Hälfte dieser 47 BKA-Chefs waren NS-Verbrecher "im kriminologischen
Sinne". Ich mache die Einschränkung "im kriminologischem Sinne",
weil sie ja nie bestraft wurden. Fünf von ihnen waren
Schreibtischtäter des Reichskriminalpolizeiamtes, die mitwirkten,
unzählige Homosexuelle, "Zigeuner", "Asoziale" und so genannte
Berufs- und Gewohnheitsverbrecher nach damaliger Lesart in
Konzentrationslager einzuweisen, und sie damit einem fast sicheren
Tod auszuliefern. Fünfzehn BKA-Führer waren Mitglieder von
Einsatzgruppen in Polen und als Vorgesetzte an der Vernichtung der
polnischen Intelligenz, oder als Angehörige der Einsatzkommandos und
Polizeibataillon in der besetzten UdSSR, am Völkermord beteiligt.
Andere befehligten die Geheime Feldpolizei.
Nicht nur Niggermeyer bildete eine
Seilschaft mit ehemaligen Mitarbeitern, die verantwortlich in der
Partisanenbekämpfung oder im Ermorden von politischen Kommissaren
waren. Auch wenn nur ein ganz fragwürdiger Verdacht vorlag, was ja
häufig der Fall war, wurde immer erst geschossen und dann geprüft.
Wenn ein Dorf irgendwo in Russland im Verdacht stand Partisanen zu
unterstützen, dann scheute man sich nicht, alle männlichen
Mitglieder dieser Dorfgemeinschaft einfach zu erschießen oder auch
das Dorf anzuzünden. Es waren also ganz schreckliche Dinge, die dort
passierten.
Einige BKA-Vorgesetzte legten bei
Exekutionen selbst Hand an oder sie waren Einsatzführer an der Grube
- Formulierungen, die alle Zeugenvernehmungen entnommen sind. Die
erbarmungswürdigen Opfer waren auch Frauen und Kinder. Zwei
BKA-Führer gehörten Standgerichten und SS-Gerichten an.
In der Fachliteratur wird häufig
behauptet, dass wenigstens Gestapomitarbeiter in der Nachkriegszeit
keine Change hatten in der Polizei Fuß zu fassen. Auch das ist so
nicht richtig, denn annähernd jeder Dritte des von mir geschilderten
Personenkreises war Angehöriger der Gestapo.
Nur zwei dieser BKA-Führer wurden
überhaupt verurteilt - und zwar im Ausland. Alle anderen blieben
straflos, überstanden auch schadlos disziplinarische Überprüfungen
und gingen als Räte oder Direktoren in allen Ehren in Pension.
Meistens wurden sie kurz vorher noch einmal befördert.
Zieht man eine Bilanz, dann gelten
die alten Nazis in der Polizei bis heute als rehabilitiert. Sie
zeigten weder Mitleid noch schwörten sie ihre Gesinnung ab. Sie
zeigten vielmehr ein Wagenburgverhalten, hatten sich gegenseitig
unterstützt und beschützt. Nie redeten sie über ihre Vergangenheit
nach außen und wenn Verfahren anhängig waren, gab es nur ganz wenige
Fälle, wo sie Angaben über andere Personen machten.
Man muss sich fragen, wie konnten
sie in diese Ämter kommen.
Das lag einerseits an der Person des
Paul Dickopfs. Eigentlich wollte er gleich zu Anfang schon gerne
BKA-Präsident werden. Das war aber den Amerikanern - wegen seines
SS-Dienstgrades - doch etwas zu heikel und er bekam die
Personalabteilung und auch die Personalhoheit übertragen. In der
ersten Ausbaustufen waren damals 152 Stellen zu besetzen. Auf diese
Stellen bewarben sich 8000 Leute, die alle aus dem Bereich der
ehemaligen Sicherheitspolizei, das heißt ehemaligen Kriminalpolizei,
der Gestapo und des SDs, kamen. Unter dem Einfluss des Herrn Dickopf
entschied das Bundesinnenministerium, keine Ausschreibungen zu
machen, da man ja genügend Fachleute hatte.
In dieser Anfangsphase und auch in
den weiteren Jahren traf Dickopf die Personalauswahl, so dass man
auch sagen kann, dass das BKA eine Versorgungsanstalt für diese
Leute war.
Eine gewisse Rolle spielten die
Alliierten, die in den Jahren 1946 bis 1949 durchaus andere
Vorstellungen hatten und auch Einfluss nahmen auf die
Personalpolitik. Aber nach und nach verblasste ihr Interesse. Das
hing mit der politischen Entwicklung, mit dem Kalten Krieg und der
veränderten großpolitischen Lage zusammen. So kam man auch auf
alliierter Seite immer mehr zu dem Ergebnis, dass man eigentlich
gegen SS-Angehörige im BKA keine Bedenken mehr haben musste. Der
Feind lag wieder im Osten und die Experten - insbesondere die der
Sicherungsgruppe - hatten ja dieses Feindbild schon eh und je und
wurden jetzt neu gebraucht.
Die Ministerialbürokratie war in
ähnlicher Weise vorbelastet. So hatten zum Beispiel 1950 mehr als
ein viertel aller Abteilungsleiter bereits Karrieren in der NS-Zeit
hinter sich - 1953 waren es 60 Prozent. 42 Prozent aller Planstellen
im Bundesinnenministerium waren mit Leuten besetzt, die auch schon
in der NS-Zeit Funktionen ähnlicher Art innehatten. Über die Justiz
ist bekannt, dass sie fast geschlossen übernommen wurde. Und in der
Bevölkerung bestand eine Schlussstrichmentalität, die der damalige
Bundeskanzler Konrad Adenauer 1952 in einer Bundestagsrede mit den
Worten auf den Punkt brachte, "wir sollten jetzt mit der
Naziriecherei Schluss machen".
Und die "Betroffenen" selbst? Sie
wurden entnazifiziert. Überwiegend wurden sie, auch, dank der
Persilscheine, die alle diese Betroffenen sich gegenseitig
ausstellten, in die Klasse Fünf entlastet. Hier und da wurden einige
von ihnen auch in Klasse Vier, Mitläufer, eingestuft. Ihre Reaktion
war Wehleidigkeit und Trotz, an Stelle von Reue und Einsicht. Und
sie trugen diese Entnazifizierung wie ein Schutzschild vor sich her,
fühlten sich damit rehabilitiert. Ja, sie stellten sich sogar als
Opfer von Verleumdungskampagnen dar.
Bis Anfang der siebziger Jahre waren
die meisten Altkriminalisten, wie sie sich selber nannten, in den
Ruhestand gegangen. Nach dem Ausscheiden von Paul Dickopf, begann
1971, mit der Präsidentschaft von Horst Herold, eine neue Ära. Doch
bis heute ist die Nazigeschichte des Amtes ein Tabu. Bei dem Festakt
"50 Jahre BKA" im Jahre 2001 fiel kein Wort über die Schatten der
Vergangenheit des Bundeskriminalamtes.
Ich möchte jetzt ihnen kurz
berichten, wie das BKA auf mein Buch reagiert hat.
Das läßt sich relativ schnell
erzählen. Meine Ausgangsthese war eigentlich, dass, obwohl das
Bundeskriminalamt über dieses Projekt nicht erfreut war, es aber dem
Zeitgeist entsprach, das man es bestimmt nicht unterlässt, mich
dabei zu unterstützen. Mit dieser Annahme beantragte ich dann im
April 2000, persönlich beim Bundesinnenminister Herrn Schily, die
Akteneinsicht für das Bundeskriminalamt und für das
Bundesinnenministerium. Dies hatte - und das muss ich lobend
hervorheben - Herr Schily, ohne Umstände und wenn und aber,
genehmigt.
Es verging dann über ein Jahr, ohne
dass mir im Bundeskriminalamt irgendwelche Akten gezeigt wurden. Man
täuschte zwar guten Willen vor, aber blockierte zugleich das
Vorhaben mit juristischen Spitzfindigkeiten des Datenschutzes und
Beamtenrechts, insbesondere weil damit Personalvorgänge verbunden
waren. Obwohl ich mitteilte, dass ich bereits hunderte von
Personalvorgänge in den Akten des Bundesinnenministeriums, also der
vorgesetzten Behörde, einsehen konnte und somit die Einwände der
nachgeordneten Behörde eigentlich unbegründet waren, kam ich nicht
weiter und sah mein Projekt auch schon als gefährdet an. Als ich
dann aber merkte, dass ich im Bundesarchiv und den Landesarchiven,
in den Archiven in Polen und der Schweiz, Material über diesen
Personenkreis in Hülle und Fülle fand, konnte ich guten Gewissens
diese Buch schreiben ohne je ein Blatt Papier des
Bundeskriminalamtes gesehen zu haben.
Das BKA verweigerte jede
Stellungnahme zu dem Buch, was auch den Unmut der Medien hervorrief.
Vier Wochen nach erscheinen des Buches erhielt ich dann die
Genehmigung auf Einsicht in sogenannte Restpersonalakten, die das
BKA inzwischen an das Bundesarchiv in Koblenz abgegeben hatte. Die
schaute ich mir natürlich an und es erstaunte mich nicht, dass in
diesen Akten nichts enthalten war, was über den Inhalt meines Buches
hinausging.
Der damalige BKA-Präsident, Dr.
Kersten, lud mich zwei Monate vor erscheinen des Buches zu einem
Gespräch ein. Bei dieser Gelegenheit schlug ich ihm am Beispiel der
Max-Planck-Gesellschaft vor, er möchte sich doch vor Erscheinen
dieses Buches, auch offiziell seitens des Amtes von diesen Leuten
und von dieser Zeit distanzieren und wenigstens sein Bedauern
bekunden. Er muss mich total missverstanden und sich wohl persönlich
angegriffen gefühlt haben, denn seine Antwort lautete: Das habe ich
nicht nötig, schließlich bin ich Jahrgang 1944. Im Bundeskriminalamt
wurde dann kolportiert, dass dem Schenk einer durch die Lappen
gegangen sei, nämlich Heinrich Bergmann.
Ich erzähle das ganz kurz, weil ich
es für bedeutungsvoll halte, dass dort noch im Jahre 2001, so ein
Mann namentlich mit seinem Hintergrund bekannt war. Bergmann war
Kriminalkommissar und SS-Obersturmführer, Vertreter des Gestapochefs
beim Kommandeur der Sicherheitspolizei in Reval (heute Tallinn,
Estland). Aus dem Jahre 1942 sind zahlreiche von
ihm persönlich unterschriebene Anordnungen zur Sonderbehandlung,
dass war die Umschreibung für Exekution, dokumentiert. Er
organisierte Massenexekutionen und war mitverantwortlich bei der
Ermordung von 234 "Zigeunern", deren Namenslisten sich in den Akten
befindet. 1962 wurde er im BKA pensioniert und 1968 durch die
Staatsanwaltschaft bzw. das Gericht in Kassel in U-Haft genommen.
Allerdings wurde das Verfahren wegen angeblichen Befehlsnotstandes
eingestellt. Durch ein Archivversehen war Heinrich Bergmann in der
Tat durch mein Raster gefallen.
In der Zeit des Erscheinens meines
Buches gab eine Kleine Anfrage im Bundestag mit der Frage, ob die
Behauptungen des Buches stimmen würden, und, wenn ja, wie die
Bundesregierung zu dieser Vergangenheit des BKA steht und ob sie
sich davon distanziert. Diese Anfrage hatte die PDS-Fraktion
gestellt, woraufhin mir zum Vorwurf gemacht wurde, warum es denn
ausgerechnet die PDS sein musste, die eine solche Anfrage im
Bundestag stellt. Ich kann dazu nur antworten, dass erstens nur die
PDS und nicht ich etwas damit zu tun hatte und zweitens das sie eine
demokratisch gewählte Partei ist, die das Recht hatte, diese Anfrage
zu stellen. Die Antworten darauf waren sehr wenig greifbar - sie
gipfelte aber in der Aussage, dass Bundeskriminalamt wurde 1951
gegründet und hat deswegen keine nationalsozialistische
Vergangenheit.
Ich bin nicht der Auffassung, dass
heute noch im BKA der Geist alter Nazis weht. Vielmehr verhinderte
aber bis jetzt ein Korpsgeist die innere Demokratie und eine
Aufklärung. Sich schützend und undifferenziert vor solche
Mitarbeiter zu stellen ist typisch für die Polizei, geschieht aber,
aus meiner Sicht, mit einer zu verurteilenden Loyalität und ist eine
andere Variante der Mauer des Schweigens, wie sie auch von den
Tätern praktiziert wurde.
Durch gewerkschaftlichen Druck wurde
im Jahre 2002 innerhalb des BKA beschlossen, dass externe
Wissenschaftler die BKA-Historie erforschen sollten. Als ich zwei
Jahre später nachfragte, hieß es inoffiziell aus der Behörde, wir
haben inzwischen wichtigeres zu tun. Soweit zunächst zu den
Reaktionen des Bundeskriminalamtes.
Ich komme jetzt zu dem letzten
Teil meiner Ausführungen. Darin prüfe ich, in wie weit es
Kontinuitäten im autoritären Führungsstil, im Bereich Interpol, bei
den internationalen Beziehungen, bei der polizeilichen
Entwicklungshilfe und auch bei der Verharmlosung und der
Halbherzigkeit bei der Bekämpfung rechtsradikaler Gewalt gibt.
Ich muss natürlich betonen, dass alle
Feststellungen im ersten Teil meiner Ausführungen, auf Fakten,
Archivmaterial und sehr sehr vielen Fußnoten beruhen, die das im
Einzelnen beweisen. Was ich jetzt sage, das sind Bewertungen, so
dass man auch anderer Auffassung darüber sein kann.
Zunächst der Führungsbereich. Dickopf
und die "Charlottenburger" behielten ihr Herrschaftswissen für sich.
Sie behandelten Untergebene arrogant, schoben sich gegenseitig
Posten zu und schirmten sich ab. Auf fatale Weise vererbte sich
dieser autoritäre Führungsstil weiter. Auch ich erlebte ihn noch so.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Die
wöchentliche Abteilungsleiterbesprechung im Bundeskriminalamt wurde
stets jeweils mit den einzelnen Tagesordnungspunkten in einem Umlauf
angekündigt. Ich bat dann einmal meinen Vorgesetzten, er möge mir
doch auch das Ergebnisprotokoll geben, um zu wissen, mit welchem
Inhalt diese Punkte besprochen wurden. Ich interessierte mich
einfach dafür, was im Hause gerade wichtig war und bearbeitet wurde.
Mein Vorgesetzter antwortete, ich entscheide, was sie wissen müssen.
Das war also der Geist, wie ich ihn noch antraf, ein eklatant
falsches Führungsverhalten, das, so glaube ich auch, symptomatisch
war. Es gab keine Transparenz in den Entscheidungswegen und bei der
Entscheidungsfindung, keine Information von oben nach unten und
keine ausreichende Beteiligung von Personal- und Berufsvertretungen.
Anfang der neunziger Jahre gab es auf
Initiative der Amtsleitung eine repräsentative anonyme
Mitarbeiterbefragung im BKA. Sie war in der Tat eine Ohrfeige für
die Amtsleitung, denn die Ergebnisse waren so erschreckend, wie es
sich eine Behörde eigentlich nicht erlauben kann. Heraus kam, dass
1/5 der Befragten quasi die innere Kündigung ausgesprochen hatte und
sich von ihrem Arbeitgeber distanzierten. Ich nenne nur ein paar
Daten daraus:
Wie beurteilen sie das Betriebsklima
in ihrer Organisation?
Schlecht, sehr schlecht, 20,2 %.
Sind ihnen so weit wie möglich,
selbstständige Aufgaben, Entscheidungsbefugnisse und Verantwortung
übertragen worden?
Selten oder nie, 18,9%.
Beachtet ihr unmittelbarer
Vorgesetzter ihre Meinung bei wichtigen Entscheidungen?
Selten oder nie, 24,8%.
Fühlen sie sich über die wesentlichen
Dinge, die ihre Arbeit betreffen, von ihrem Vorgesetzten ausreichend
informiert?
Immer die gleichen Prozentzahlen.
Unterstützt sie ihr Vorgesetzter bei
Schwierigkeiten in ihrer Arbeit? Interessiert sich der Vorgesetzte
überhaupt über die Ergebnisse ihre Arbeit?
Nein, 22,7%.
Und der Gipfel war: Fühlen sie sich
über wesentliche Dinge im Amt ausreichend informiert?
Selten oder nie, 39,4%.
Kommen wir kurz zu den
internationalen polizeilichen Beziehungen.
Ich kritisiere die mangelnde Distanz
des BKA zu Unrechtsstaaten. Die vorherrschende Geisteshaltung, wie
ich sie antraf und wie sie eigentlich auch von mir erwartet wurde,
lautete: Die weltweite Zusammenarbeit muss funktionieren. Wir als
Bundeskriminalamt haben die Verhältnisse in anderen Staaten weder
verschuldet, noch zu verantworten, noch können wir sie ändern.
Über meinen Schreibtisch gingen
seinerzeit die Dienstreiseberichte alle BKA-Beamten soweit sie im
Ausland waren. Manchmal waren sie zeitgleich mit mir in demselben
Land und ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, das ich in
einem anderen Land war. Natürlich kann man die Augen total
verschließen. Man kann in einem Land die Gastfreundschaft der
dortigen Polizei genießen. Man kann sich an den Swimmingpool legen
und die Kollegen dort ein Ermittlungsergebnis auf ihre Art und Weise
erzielen lassen. Man kann aber das Unrecht, dass in vielen Länder
passiert einfach gar nicht übersehen. Davon stand aber in solchen
Berichten nichts drin.
Es verwundert deshalb auch nicht,
dass der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes mir schriftlich
verboten hatte, Amnesty International zu zitieren. Das hängt damit
zusammen, dass Folter in der Polizei ein Nonwort ist. Es ist
tabuisiert, es fällt auf keiner Interpolkonferenz, es steht auch in
keinem Polizeibericht.
In der Interpolorganisation sind 172
Mitgliedsstaaten
organisiert. In über 150 Ländern werden die Menschenrechte verletzt
und davon auf eklatanter Weise durch Folter und Misshandlungen in 70
Prozent. Interpol ist also alles andere als eine honorige
Gesellschaft. Deutschland gehört zu den sechs Hauptbeitragszahlern
und ist einer der größten Nutzer. Einer der wichtigsten Organe von
Interpol ist das, aus acht Mitgliedern bestehende Exekutivkomitee.
Es ist ein Entscheidungsgremium, das jeweils zwischen den beiden
Jahreshauptversammlungen tagt. Der Vorgänger des jetzigen
BKA-Präsidenten, Dr. Ulrich Kersten, saß an einem Tisch mit den
Vertretern aus Südkorea, China und dem Sudan, die auch in dieses
Exekutivkomitee gewählt wurden. Da stellt sich also erneut die
Frage, warum interessiert es den BKA-Präsidenten nicht, mit wem er
da an einem Tisch sitzt - mit Herren, die ja Verantwortung tragen,
für das, was sich im Sudan, in China oder in Südkorea - man brauch
nur wieder den Amnesty-Jahresbericht durchzulesen - ereignet.
Ich bin jedenfalls der Ansicht, dass
als Bedingung für die Mitgliedschaft in der Interpol-Organisation
ein Mindeststandard der Beachtung von Menschenrechte gestellt werden
müsste. Folterregime sind generell aus dieser Gemeinschaft
auszuschließen und haben dort nichts zu suchen, jedenfalls solange
sie als solche aktiv sind.
Einige Sätze zur polizeilichen
Entwicklungshilfe.
Ich traf sie bei meinen Reisen an
vielen Stellen an, obwohl ich nicht unmittelbar etwas damit zu tun
hatte. Es ist festzustellen, dass die Ausstattungs- und
Ausbildungshilfe Folterregime in die Lage versetzt noch effizienter
ihr schmutziges Handwerk zu erledigen.
Einige Erfahrungen habe ich selber
gemacht. Zum Beispiel richtete das Bundeskriminalamt in Mogadischu
ein Kriminallabor ein. Einige Jahre danach kam ich nach Mogadischu
und hatte mir dieses Labor zeigen lassen. Auf den Gerätschaften lag
fingerdicker Staub. Mit anderen Worten: Das was man dort, um einem
wissenschaftlichen sachlichen Beweis zu führen, um Straftaten
aufzuklären, was man glaubte diesem Land Gutes zu tun, spielte dort
nie eine Rolle. Man arbeitete einfach weiter mit der Methode, die
man immer anwandte, in dem man die Ermittlungsergebnisse durch
Schläge und Schlimmeres erzielte.
Allerdings die Gerätschaften, die
auch geliefert worden waren, um Menschen zu registrieren oder um sie
zu observieren, die waren sehr wohl in Benutzung. Als ich dort war,
fanden jeden Samstag auf dem zentralen Platz vom Mogadischu offene
Hinrichtungen von Verbrechern, oft auch politischen Gegnern, statt.
Dies war dort eine Volksbelustigung, zu der tausende von Leuten
hingingen.
Ein anderes Extrem ist zum Beispiel
Guatemala. Dort hin wurden 50 Mercedes-Geländewagen und 50
BMW-Motorräder geliefert - mit dem Ergebnis, dass aus diesen
Fahrzeugen Straßenkinder, die eine Apfelsine stahlen und wegliefen,
erschossen wurden. Auf diese Art verwendete man also diese
Einsatzmittel. Wie überhaupt generell, die Bekämpfung des
politischen Gegners im Fadenkreuz eben dieser Regime steht.
Ich plädiere prinzipiell dafür, dass
jegliche Form der polizeilichen Entwicklungshilfe, mit wenigen
Ausnahmen, einzustellen ist. Das, was momentan für Afghanistan
geleistet wird, würde ich als durchaus positive Ausnahme betrachten.
Ein letzter Punkt: Ist das BKA auf
dem Rechten Auge blind?
Ich meine ja, wenn man die
halbherzige Bekämpfung des Rechtsradikalismus beurteilt. Der Begriff
Rechtsterrorismus wird eigentlich bei der Polizei vermieden - man
spricht vom Linksterrorismus und vom Rechtsradikalismus. Über
Jahrzehnte setzte das Bundeskriminalamt 30 Bedienstete im Kampf
gegen Rechts und 300 im Kampf gegen Links ein. Jahrelang wurde die
rechtsextreme Gewalt verharmlost und die Opferzahlen kleingeredet,
wie eine Untersuchung der Frankfurter Rundschau gemeinsam mit dem
Berliner Tagesspiegel ergab. 93 Fälle mit Todesfolge über einige
Jahre lang wurden dokumentiert.
Der Polizei waren diese Fälle sehr
wohl bekannt, aber der rechtsradikale oder rechtsterroristische
Hintergrund wurde in keiner Weise berücksichtigt. Am Besten kann man
es auch an Hand der Planstellenpolitik des Bundeskriminalamtes
belegen. Wenn man die eingesetzte Manpower in Bezug setzt zu den
Straftaten von Rechts oder Straftaten von Links, dann sah das in den
Jahren 1991 bis 1994 so aus, dass 16 Mal so viele Beamte eingesetzt
wurden, wenn es sich um Straftaten von der linken Seite handelte. In
den Jahren 1994 bis 2000 waren es noch 6 Mal so viele, und seit
April 2000 ungefähr doppelt so viele.
In den letzten Jahren haben sich die
Koordinaten dieses Fadenkreuzes allerdings verschoben, weil immer
mehr der islamisch-fundamentalistische Terrorismus in den
Vordergrund gerückt ist. Deswegen kann ich das nicht mehr
verbindlich für heute so behaupten.
Aber mindestens drängt sich doch
das Risiko auf, das der Rechtsextremismus dadurch auch an
Aufmerksamkeit verliert und vernachlässigt wird.
Ich möchte mit einem positiven
Ausblick meine Ausführungen beschließen. Vorige Woche wurde ich aus
Anlass des heutigen Vortrages, durch den Präsidenten
des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, zu einem Gespräch eingeladen.
Der BKA-Chef machte mir deutlich, dass er offensiv mit der
NS-Vergangenheit des Amtes umzugehen gedenkt und das er dies auch
gegenüber der Öffentlichkeit zu tun beabsichtigt, sobald er das mit
dem neuen Innenminister abgestimmt hat. Ferner will er auch die
BKA-Historie durch externe Wissenschaftler auf der Basis schon
vorhandener Pläne ausarbeiten und erforschen lassen, und es ist ihm
wichtig, das der BKA-Nachwuchs davon erfährt, wie die Altvorderen
des Bundeskriminalamtes in die Nazizeit verstrickt waren.
Ich bezweifele nicht die Absicht des
BKAPräsidenten Ziercke und denke, dass hier ein Paradigmenwechsel
offensichtlich demnächst vollzogen wird. Ich freue mich, dass nach
über 50 Jahren, nicht mehr Korpsgeist sondern waches Nachdenken
herrscht und nicht mehr falsche Rücksichtnahme, sondern souveräne
Distanz und republikanische Offenheit, den Kurs bestimmen sollen.
Dieter Schenk, 1937
geboren, ist Honorarprofessor für die Geschichte des
Nationalsozialismus an der Universität Lodz und Freier Publizist.
Bis 1988 war er als Kriminaldirektor im Bundeskriminalamt jahrelang
Berater des Auswärtigen Amtes in Fragen der Sicherheit des
diplomatischen Dienstes. Schenk ist Gründungsmitglied des
Arbeitskreises Polizei bei amnesty international und arbeitet im
Vorstand des gemeinnützigen Vereins Business-Crime-Control (BCC). Er
hat mehrere Bücher zum Thema herausgegeben, darunter "Die
braunen Wurzeln des BKA" (2003); "'Auf dem rechten Auge
blind' - Die braunen Wurzeln des BKA" (2001) und "Der Chef. Horst
Herold und das BKA" (1998). Für sein Buch "Die Post von
Danzig-Geschichte eines deutschen Justizmordes" (1995) wurde er in
Polen und Deutschland mehrfach ausgezeichnet. Inzwischen gilt sein
publizistisches Interesse fast ausschließlich dem
Nationalsozialismus, mit Forschungen insbesondere in Polen. Momentan
schreibt er die Biographie des Generalgouverneurs Hans Frank
(1900-1946). Das Buch wird im August 2006 bei S. Fischer erscheinen.
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