Das Bundesverteidigungsministerium klagt uns an: Wir haben Geheimes veröffentlicht
Das Bundesverteidigungsministerium klagt gegen die Funke-Mediengruppe wegen der Veröffentlichung der Afghanistan-Papiere vor dem Landgericht Köln. Die Klage wurde am 4. Juli im Auftrag von Verteidigungsminister Thomas de Maizière eingereicht. Wir haben die entsprechenden Schriftstücke in der vergangenen Woche vom Gericht zugestellt bekommen. Nach Prüfung der Klage haben wir uns entschlossen, uns weiter zu wehren.
Die so genannten „Unterrichtungen des Parlamentes“ zum Afghanistankrieg wurden von uns online publiziert, um den Verlauf der Auslandseinsätze der Bundeswehr zu dokumentieren und damit aufdecken und belegen zu können, dass die Bundesregierung seit langem die Lage in Afghanistan schön geredet hat.
Bei den Afghanistan-Papieren handelt es sich um „VS – nur für den Dienstgebrauch“ gestempelte Unterlagen, mit deren Hilfe das Ministerium die Abgeordneten im Verteidigungsausschuss des Bundestages unter Ausschluss der Öffentlichkeit wöchentlich über den Afghanistankrieg und die sonstigen Auslandseinsätze der Bundeswehr informiert. Die Funke-Mediengruppe hatte die Papiere für den Zeitraum von Sommer 2005 bis Sommer 2012 im vergangenen November online veröffentlicht. Die Einstufung „VS – nur für den Dienstgebrauch“ ist die niedrigste von vier Geheimhaltungsstufen der Bundesrepublik.
Anhand der Papiere lässt sich der Kriegsverlauf in Afghanistan nachvollziehen. Aus den Originaldokumenten der Bundeswehr wird sichtbar, dass schon seit Jahren keine Rede von einer Friedensmission mehr sein konnte, obwohl dies von Politikern immer wieder behauptet wurde: die Papiere zeigen, wie sich Anschläge, Kämpfe und Operationen in Afghanistan über die Jahre ausweiten.
Vor allem die Ausweitung der Anschläge von 2011 auf 2012 spiegelt sich in den Papieren wieder. Wir konnten auf Basis der Papiere im November 2012 berichten, dass die Bundeswehr die Lage in Afghanistan beschönigt hat.
Zunächst hat sich die Bundeswehr-Führung über unsere Berichte lustig gemacht und versucht die Tatsachen herunter zu spielen:
So wies Regierungssprecher Steffen Seibert unsere Kritik an der Informationspolitik der Regierung zu Afghanistan zurück. Die Sicherheitslage sei zwar instabil, es gebe aber Fortschritte und die Zahl der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle verringere sich.
Anfang April dann verlangte das Verteidigungsministerium von uns mit einer juristischen Abmahnung, wir sollten die Afghanistan-Papiere löschen. Wir haben das nicht getan und stattdessen angekündigt, dass wir uns wehren wollen.
Nur einen Monat später musste die Bundeswehr dann im Mai diesen Jahres einräumen, dass sie Unfug erzählt hat – so wie wir berichtet hatten. Tatsächlich haben die Angriffe auf Soldaten und Zivilisten von 2011 auf 2012 um fast 25 Prozent zugenommen.
Siehe diesen Spiegel Bericht:
Bundeswehr beschönigte Sicherheitslage in Afghanistan
Schon vorher konnte jeder Mensch, der Zugang zu einem Taschenrechner hat, Anhand der von uns veröffentlichten Dokumente nachvollziehen, dass die Aussagen der Bundesregierung, die Aussagen von Herrn Seibert, beschönigt waren. Und das nicht zu einer Frage, bei der es um Gendermainstreaming in Wäldern geht, sondern um Krieg und Tot und Leben.
Mit Bezug auf das Urheberrecht will das Ministerium nun die Unterlagen, die ihre Märchen entlarven, aus dem Internet löschen lassen. Wir werden dem nicht nachkommen und setzen uns gegen den juristischen Angriff des Verteidigungsministeriums zur Wehr.
Es wäre schön, wenn uns möglichst viele Leute dabei unterstützen und dem Verteidigungsminister schreiben, was sie von seinem Angriff auf die Informationsfreiheit halten: klick
Verharmlosung des Krieges dokumentieren
Bislang war es allgemein üblich, dass Journalisten in ihren Artikeln vereinzelt aus vertraulichen Unterlagen zitieren. Uns reichten Zitate im vorliegenden Fall allerdings nicht aus, um unsere Berichte über den Afghanistankrieg auf eine nachvollziehbare Basis zu stellen. Nur die Veröffentlichung aller vorliegenden VS-gestempelten Papiere im Internet ermöglicht es, die jahrelange Verharmlosung des Afghanistankrieges zu dokumentieren. Und damit auch schließlich die Bundesregierung zu zwingen, die Wahrheit zu sagen und mit der Schönfärberei aufzuhören.
Dies entspricht den Grundlagen des modernen Journalismus. Es geht nicht mehr nur darum, zu verknappen und zu zitieren. Stattdessen wollen wir möglichst oft Originaldokumente veröffentlichen, wenn nicht Informanten gefährdet werden. Jeder Bürger soll sich mit Hilfe seiner Zeitung selbst ein Bild vom Verlauf des Afghanistankrieges machen können. Die Aussagen von Artikeln werden nicht mehr nur behauptet, sondern anhand von Originalpapieren bewiesen.
Unserer Meinung nach handelt es sich bei dem Versuch des Ministeriums die Papiere mit Hinweis auf das Urheberrecht löschen zu lassen, um den Missbrauch eines Rechtes. Natürlich kann ein Privatunternehmen mit Hilfe des Urheberrechtes sein geistiges Eigentum schützen. Doch es ist fraglich, ob die Regierung dieses Rechts nutzen kann, um die Menschen in Deutschland im Unwissen darüber zu halten, was in ihrem Namen weltweit militärisch geschieht. Wir sind der Ansicht, dass im Gegenteil jeder Menschen in Deutschland ein Recht darauf hat, in die Papiere der Regierung zu schauen. Die Unterlagen gehören den Bürgern. Jeder Mensch hat das Recht, sich frei und unabhängig anhand von Originaldokumenten selbst ein Bild vom Verlauf der Auslandseinsätze der Bundeswehr – vom Afghanistankrieg – zu machen, um sich auf dieser Basis seine freie unabhängige Meinung zu bilden und seine demokratischen Grundrechte wahrnehmen zu können. Es geht um alles.
Antrag nach Informationsfreiheitsgesetz abgelehnt
Die WAZ-Mediengruppe hat versucht, Einsicht in die Dokumente auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes zu bekommen. Dieser Antrag wurde vom Verteidigungsministerium abgelehnt. Angeblich könnten Feinde Deutschlands Erkenntnisse aus den Dokumenten ziehen, die deutsche Soldaten gefährden würden.
Diese Begründung ist nachweislich falsch, wie ein Blick in die Originaldokumente zeigt, die von der WAZ veröffentlicht wurden. In den Papieren findet sich nichts, was als Geheimnis geschützt werden müsste. Denn natürlich haben wir sehr sorgfältig nachvollzogen, ob Personen durch die Veröffentlichung gefährdet werden, ob Soldaten Probleme bekommen können oder taktische Hintergründe verraten werden. Wir wollten nicht unverantwortlich handeln und haben es nicht getan. Es gibt in den Papieren nichts, von dem eine Gefahr ausgehen könnte.
Nicht umsonst sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Stefan Paris, nach unserer Veröffentlichung im November, die Unterrichtungen für das Parlament seien nur deshalb in die Geheimnisstufe „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft worden, weil sie auch Informationen enthielten, die von verbündeten Staaten kämen. „Diese Unterrichtung des Parlaments stellen wir zeitlich ganz knapp versetzt und nahezu inhaltsgleich – nahezu eins zu eins – als Unterrichtung der Öffentlichkeit bei uns ins Internet.“
Der Unterschied bestehe nur darin, dass keine der Informationen veröffentlicht würden, deren Urheber andere Staaten seien. In diesen Fällen werde nur noch von Isaf-Kräften gesprochen. „Eigentlich kann man sagen, wir leaken jede Woche selbst.“ Paris sagte deshalb, er habe „geschmunzelt“, als er unsere Berichterstattung gelesen habe.
Aus diesem Grund werden wir auch keine Unterlagen löschen und stellen stattdessen hier erneut den Antrag, alle „Unterrichtungen des Parlamentes“ vom Beginn des Afghanistan-Krieges im Jahr 2001 an, der Öffentlichkeit unzensiert offen zu legen. Die Bürger haben ein Recht darauf, die Wahrheit über den Kriegsverlauf nachzulesen. Sie müssen sich nicht von überführten Schönfärbern an der Nase herumführen lassen.
Alle Dokumente in einem Wiki veröffentlicht
Wir haben die Afghanistan-Berichte in einem Wiki veröffentlicht. Sie sind nach Schlagwörtern durchsuchbar. Bis heute haben einige tausend Menschen davon Gebrauch gemacht und sich aus erster Hand über den Kriegsverlauf informiert.
Und noch etwas haben viele getan: Die Dokumente sind durchweg schlecht gescannt. Dutzende Leute haben deshalb die Dokumente in Handarbeit im Wiki lesbar und technisch auswertbar gemacht. Dafür danken wir allen.
Wir würden uns nun freuen, wenn möglichst viele Menschen die Dokumente runterladen und unsere Aussagen nachvollziehen.
Die Papiere wurden von unserem Steuergeld bezahlt und sind in unser aller Namen erstellt worden. Nach unserer Meinung gehören die Papiere uns allen. Es gibt keinen künstlerischen oder individuellen Anspruch aus dem Urheberrecht auf die Dokumente. Sie gehören allen Bürgern.
Deswegen würden wir uns freuen, wenn sich möglichst viele Menschen unserer Forderung anschließen, alle „Unterrichtungen des Parlamentes“ – von 2001 an – unzensiert offen zu legen, damit sich die Öffentlichkeit ein ungeschminktes Bild von den Auslandseinsätzen der Bundeswehr machen kann.
Ausserdem wäre es schön, wenn uns möglichst viele Leute dabei unterstützen und dem Verteidigungsminister schreiben, was sie von seinem Angriff auf die Informationsfreiheit halten: klick
Die Afghanistan-Papiere: Wir sind online
Afghanistan: Geheimnisse eines Krieges
Die Afghanistan-Papiere: Gefährlicher Einsatz
Unser Wiki: Die Afghanistan-Papiere im Original
Texte zum Thema auf DerWesten
Bundeswehr eröffnet Schlacht am Landgericht Köln: Was leakt an? » Rechtsanwalt Markus Kompa am 21. Juli 2013 um 19:58
Daher meine Frage: Was steht in der Klageschrift? Worauf stützt sich die Klage? Wo ist ein Kopie der Klageschrift veröffentlicht? Was für ein Aktenzeichen hat diese Klage?
Mathias Schindler am 21. Juli 2013 um 20:19
Wolfgang Ksoll am 21. Juli 2013 um 20:39
Sehr geehrte Damen und Herren,
mir ist ja jetzt bewusst geworden, dass diese Bundesregierung es mit den Bürgerrechten nicht so genau nimmt und uns gerne an ausländische Mächte verkauft, um sich auf diesem Umweg über uns re-informieren zu können. Das ist schon unschön genug. Aber jetzt üben Sie auch mal wieder ein bisschen Spiegel-Affäre? Und lassen es sich angelegen sein, nach 50 Jahren erneut gegen die Pressefreiheit vorzugehen? So richtig lernfähig ist Ihr Ministerium nicht, oder?
Könnten Sie das bitte trotzdem sein lassen? Danke!
Mit freundlichen Grüßen
Frank Weinreich
Bei Ihnen aber, möchte ich mich für die hervorragende journalistische Arbeit bedanken :-)